WDR 5 Vorleser

Liebe WDR 5 Hörer, nach der Ausstrahlung der letzten Vorleser haben mich einige nette Menschen nach einem Buch oder einer Textsammlung gefragt. Hat mich sehr geehrt, aber es gibt (noch) kein Buch, ich bin dabei, meine Kurzgeschichten zusammenzustellen, aber das wird noch etwas dauern. Zur Überbrückung aus besagter Sendung meine schönstes Drama seit langem:

 

Ich bin Torsten Sträter (c) Thomas Lienenlüke

Ich sehe normal aus, aber ich habe ein verrücktes Hobby. Ich lese Texte auf Bühnen. Manchmal. Manchmal mit Publikum, manchmal auch ohne. Ich hab lange nachgedacht und festgestellt – mit ist schöner. Aber auch seltener.

 

Mein Agent sagt, Lesen reicht nicht, du brauchst ein Alleinstellungsmerkmal, irgendwas, wo die Leute sofort sagen, das ist der mit dem Dings. Ich sage, ich könnte zum Beispiel nur von rosa Zetteln lesen. Oder himmelblauen. Mein Agent sagt – im Prinzip gut, aber damit lässt Du die Farbenblinden ausen vor. Und Farbenblinde haben eine große Lobby in Deutschland.

Ich lausche seinen Worten voller Demut und Liebe. Er ist ein weiser Mann.

Es muss irgendwas auffälliges sein, sagt er. Und farbneutral.

 

Ich sage, was wäre, wenn ich behaupte, ich wär beschnitten. Aus religiösen Gründen – das würde mich zusammen mit meinem deutschen Namen sehr geheimnisvoll erscheinen lassen. Mein Agent sagt – Ethno ist schon ziemlich überlaufen. Und ausserdem gibt es doch auf Youtube dieses eklige Video von Dir, von Marcos Junggesellenabschied, wenn man da ganz genau hinschaut … …

 

Ich sag, Du must nicht weiterreden, ich habe verstanden. Ich bin nicht beschnitten.

Lass dir doch ein kleines Bärtchen wachsen, sagt mein Agent, alles mit Hitler geht ganz gut im Moment. Ich bin angewidert. Wie kann er mir sowas vorschlagen. Hitler ist Comedy, ich bin seriöser Lesekünstler. Sowas geht nicht zusammen.

Dann komme ich auf die Idee, mir eine Bommelmütze zu kaufen, mein Agent sagt, Mütze geht nich, Mütze ist Torsten Sträter, ich sag, ja, aber Sträter ist ohne Bommel – das wird der Kenner auseinanderhalten. Literatur hat auch immer was mit genau hingucken zu tun. Ausserdem sind Bommelmützen retro. Und retro läuft wie Hulle.

Gesagt, getan, ich kaufe mir ein Dutzend Bommelmützen, weil ich auch ein gutes Merchandisegeschäft wittere. Mein Agent reagiert umgehend – auf seiner Homepage lese ich unter meinem Namen – „die Erscheinung des Künstlers gibt nicht zwingend die diesbezügliche Meinung der Agentur wieder. Die Agentur haftet nicht für das Aussehen ihrer Künstler.“

Ich weiss, ich bin ab jetzt auf mich selbst gestellt und bastel mir auf Facebook ein Künstlerprofil. „Wollmützenstorymann“ aus NRW. Der Kenner weiss Bescheid.  Zwinker zwinker!“

Dann lese ich abends in einem Cafe. Immerhin. Sechs Leute sind gekommen um den Mann mit der Wollmütze zu sehen. Eine Frau kommt enttäuscht auf mich zu.

„Och schade, ich dachte, Sie wären Torsten Sträter!“

Ich weiss nicht, was mich reitet, als ich sage: „Ich bin Torsten Sträter!“

„Ach. Im Fernsehen sind Sie schlanker,“ sagt die Frau.

Natürlich – die Kamera trägt ab, und das Fernsehen retuschiert uns Erfolgskünstlern allesamt unsere Wohlstandswampen weg, damit im einfachen Volk kein Sozialneid hochkommt. In Wahrheit sind wir alle in den Medien dick und satt – Florian Silbereisen kommt kaum noch durch die Toilettentür und Markus Lanz nennen wir alle nur: Den Klops. Der letzte ungefälschte Mann im Fernsehen war übrigens Dirk Bach.

Die Frau schaut bewundernd. Ich gefalle mir in meiner frischen Prominenz und denke mir schnell noch mehr Insiderwissen aus. Dann eine zweite Frau:

„Aber Ihre Stimme ist viel heller als im Radio!“

„Da sagen Sie was. Meine Stimme ist amselgleich und flötentönig – darum werde ich auch nie live gesendet. Ich spreche meine Texte, und dann reift die Stimme auf dem Band mehrere Jahre im kühlen WDR Keller nach, bis sie jenen fettig dunklen Klang nach Erdnussbutter und altem Olivenöl hat, den die Frauen so sehr lieben. Whisky, Gouda und Lesestimmen – ihr aller Ruhm zehrt nicht vom lichten Schmelz der Jugend.“

„Ach. Das ist ja hochinteressant!“

„Und ausserdem können Sie auch ganz leicht sehen, dass ich echt bin, wenn Sie mich gegens Licht halten erkennen Sie ein Wasserzeichen, das haben die ganzen Nachgemachten nicht. Jetzt isses aber blöderweise dunkel, doch ich werde lesen, bis der neue Tag sein junges Gesicht zeigt – dann können wir das nachholen!““

Dann wieder die zweite Frau: „Vom Gesicht her erinnern Sie mich eigentlich eher an diesen Kerl mit der Kappe aus den Mitternachtsspitzen, diesen hässlichen Rentner!“

„Der bin ich auch,“ höre ich mich sagen, „mit einem Job allein schlabberst Du heut nicht mehr die Sahne von der Kirsche … und in meiner Freizeit moderiere ich noch in Frauenkleidern mit verstellter Stimme eine Backsendung auf Sat 1.“

„Donnerwetter“ … sagt die Frau, „das klingt anstrengend.“

„Nicht anstrengender, als damals zur Finanzierung meines Studiums als Reinigungsgeselle 16 Stunden am Tag in einem dreckigen luftdichten Tank die verseuchten Reste hochgiftigen Ethanols von den rostigen Stahlwänden zu lecken, weil die wenigen Metallschwämmchen, die uns der herzenskalte Schinder von einem Vorarbeiter zuteilte, sich längst in der Säure zersetzt haben“

„Sowas haben sie gemacht?“ Fragt die Frau.

Ich nicke bedeutungsschwanger. „Fast – aber dann kam mir leider Bafög dazwischen, doch ich weiss sehr wohl, wie es sich anfühlt, beinahe so ein armer Hund gewesen zu sein.“

Jetzt entsteht ein peinliches Loch im Gespräch. Der Veranstalter kommt auf mich zu und fragt, wann ich endlich anfangen will. Ich will ihm höflich antworten, doch dann fällt mir ein, dass ich jetzt ja berühmt bin. Und Starallüren brauche. Ich frage ihn streng, warum kein walisisches Mineralwasser in meiner Garderobe steht. Er sagt, „weil Sie keine Garderobe haben.“ Darauf fällt mir nichts ein. Auch Starallüren wollen geübt sein.

Dann gehe ich auf die Bühne – in der Hand mein Ipad, Zettel war gestern. Ich bin ein moderner Poet, ein Poet 2.0. ein digitaler Dichter mit analogem Herz.

„Wohlan“ – sage ich ins Mikrofon, „eure Herzen dürsten nach Dichtung, und ich bin gekommen, ihren Durst zu stillen, hohe.“

Ich blicke auf mein Ipad, eine große schwarze Fläche. Nicht nur Analog war gestern, Strom war auch gestern, ich hab das Laden vergessen. Ich bin Rat,- und Hilflos, aber überspiele das mit gekonnter Unsicherheit. Ich halte das Ipad in die Luft.

Seht, dies ist ein Werk des Teufels – lesen sollst Du von ihm, doch ohne Strom ist es wie die dunkle Katze im leuchtenden Wald.

„Warum dunkle Katze im leuchtenen Wald? Wo ist denn da die gemeinsame Ebene?“ Ruft eine Frau dazwischen.

„Tja, da denken Sie mal drüber nach!“ entgegne ich keck, und bin überrascht von meiner eigenen Schlagfertigkeit. Dann fällt mir ein, dass ich noch ein Buch in der Tasche habe. Oliver Twist. Ich stehle mich vom Podium, hole das Buch, hülle es notdürftig in einen Schutzumschlag aus Servietten und beginne, mit fester Stimme zu lesen.

Schon nach wenigen Stunden erhebt sich Unmut, und ein Mann ruft – das ist aber nicht lustig!

Ich sage: „Das Leben ist auch nicht immer lustig, aber wir wollen heute miteinander lernen, auch wenns ernst wird, darf man kichern, manche Leute lachen auch auf Beerdigungen, lasst uns derweil wie diese Leute sein!“

Jetzt komme ich zu einer Stelle, an der der kleine Oliver Twist bei einem Einbruch angeschossen wird und von seinen ruchlosen Spiessgesellen hilflos im Strassengraben zurückgelassen wird. Alle lachen.

„Geht doch“ sage ich, Humor ist immer eine Frage der Perspektive.

Ich lese weiter, bis der Besitzer des Cafes mir von der Seite zuraunt, dass er jetzt gerne schliessen würde. Ich beende das unwürdige Schauspiel kurz bevor der Morgen graut, und Dame 2 kommt auf mich zu:

„Sie sind gar nicht Torsten Sträter!“

„Ertappt“, sage ich ertappt.

„Sie sind Charles Dickens, und Sie sprechen sehr gut Deutsch! Ich hab alle Ihre Bücher gelesen.“

„Ach, Sie sind das?“ scherze ich jovial und schenke ihr mein Buch mit Widmung.

„Herman Melville finde ich auch toll, kennen Sie Moby Dick?“

Ich spüre in mir das unbändige Verlangen, zu sagen: „Der bin ich auch!“

Aber man muss auch wissen, wanns genug ist.